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Ratgeber zum Thema Ganzjahresreifen

Ostern: der richtige Zeitpunkt, um von den Winter- wieder auf Sommerreifen zu wechseln. Manch einer wird dabei betrübt feststellen, dass sich seine Reifen der Verschleißgrenze nähern. Vielleicht hilft denen dieser Tipp weiter: Statt neuer Sommer- besser Ganzjahresreifen aufziehen lassen. Das spart im Herbst auch wieder den Wechsel zu M+S-Reifen – und deren Neukauf, wenn sie gleichfalls abgefahren sind.

 

 

 ©ACE Tschovikov

Im Oktober der Wechsel von Sommer- auf M+S-Reifen, zu Ostern die Montage zurück („O bis O“) ist für die meisten Fahrer eine gleicherma-ßen selbstverständliche wie lästige Aktion. Für sie gibt es aber einen guten Grund: Winterreifen mit ihren auf niedrige Temperaturen ausgelegten weichen Gummimischungen für den Laufstreifen, mit speziellen Nasstraktionsharzen in dieser Mischung, mit vielen Einschnitten im Profil (Lamellen) sind auf kalter Nässe, auf Schnee und erst recht Glatteis Sommerreifen deutlich überlegen. Das bedeutet, dass sie höhere Kräfte übertragen können – bergauf, beim Anfahren, in Kurven, vor allem beim Bremsen.

Umgekehrt punkten Sommerreifen bei höheren Wärmegraden mit kürzeren Bremswegen, dazu mit leiserem Lauf, längerem Leben, geringerem Rollwiderstand und besonders mit höherer Lenkpräzision. „Spezialisten können mehr“, bringt es Andreas Schlenke auf den Punkt. Er muss es wissen: Er ist Direktor bei Continental und für Messungen und Vergleiche bei Reifen zuständig.

Winter- plus Sommerreifen samt der für sie nötigen Räder, mit Montage und Auswuchten, bei neueren Wagen mit der Ausrüstung für das Reifendruck-Kontrollsystem, nicht zuletzt mit der Aufbewahrung der gerade nicht benötigten Räder sind zwar die beste, aber auch die aufwändigste Lösung. Dabei, Andreas Schlenke senkt den Ton, gibt es Fahrer, für die sich der Aufwand eigentlich nicht lohnt: etwa für wenig und vorzugsweise in der ebenen Stadt bewegte Klein- und Zweitwagen. Sie können an kritischen Tagen stehen bleiben, Stadtstraßen werden dazu meist rasch geräumt. Kleinwagen haben in aller Regel Frontantrieb und damit gute Wintereigenschaften, weil der schwere Motor die Antriebsräder belastet.

Große Limousinen und Sportwagen – in aller Regel mit Frontmotor und Hinterradantrieb –, schneereiche Gegenden und Fahrten in den Wintersport erfordern nach wie vor M+S-Reifen (die z. B. in Österreich sogar mindestens vier Millimeter Profil haben müssen). Für die erwähnten Klein- und Kompaktwagen aber setzt sich eine neue Kategorie von Reifen mehr und mehr durch: der Allwetter-, „All Season“- oder schlicht Ganzjahresreifen. Für Andreas Schlenke erfüllen sie den Premiumanspruch der Marke Continental (noch) nicht, bei Konzernmarken wie General Tire oder Uniroyal aber gibt es sie durchaus: „Besser, die Leute kaufen im Konzern und nicht beim Wettbewerb!“

Dieser Wettbewerb bietet mittlerweile eine breite Auswahl an Reifen, die sowohl bei Wärme und Trockenheit als auch bei Kälte, Nässe und Glätte über zumindest brauchbare Eigenschaften verfügen. Sie stellen damit, so die „Auto-Zeitung“ schon 2010, eine „interessante Alternative“ dar. Zu den Pionieren gehörte vor dreißig Jahren Goodyear mit dem „All Season“. Das klingt nicht von ungefähr nach Amerika: In den USA macht sich kaum ein Fahrer die Mühe mit der „O – O“-Regel: In den warmen Südstaaten rollt alles auf Sommerprofilen, im Norden, wo es durchaus Winter gibt, ist eben „All Season“ gefragt. „Snow Tyres“ sind höchstens in den Wintersportgebieten angesagt.

Die All Season-Welle in den Staaten ist dabei, auch zu uns zu schwappen. Fast jedes fünfte Auto, so der ADAC, rollt bei uns bereits auf Ganzjahresreifen. Jeder dritte Käufer interessiert sich für sie, bei Kleinwagen sogar die Hälfte.

Die neuesten Testberichte geben ihnen Recht. Hatte der Touring-Club der Schweiz (vergleichbar mit dem ADAC bei uns) 2009 Ganzjahresreifen noch als „schlechten Kompromiss“ abgetan, so bescheinigt beispielsweise „Auto-Bild“ jüngst: „Die neueste Generation überzeugt auf Schnee, bei Regen und auf trockener Piste“.

Diese neueste Generation findet sich mittlerweile bei fast allen Marken – von Bridgestone bis Vredestein, von Goodyear bis Michelin. Der französische Marktführer bot ähnlich wie Continental Allwetterreifen lange nur über seine Zweitmarken an. Erst 2015 wagte er sich an ein Ganzjahres-Produkt. Der neue „Cross Climate“ gewann auf Anhieb zahlreiche Vergleichstests, mittlerweile wird er sogar schon in zweiter Generation angeboten.

Für Käufer bietet sich ein ähnliches Bild wie bei konventionellen Sommer- wie Winterreifen: Die großen bekannten Marken bieten das höchste Niveau an Sommer- wie an Wintereigenschaften, sie punkten mit niedrigem Rollwiderstand und langer Lebensdauer. Die Zweitmarken der großen Hersteller – Uniroyal und Barum gehören zu Conti, Fulda und Sava zu Goodyear, Kleber und Goodrich zu Michelin – folgen oft dicht auf, sind aber deutlich preiswerter. Ähnlich sieht es bei vielleicht weniger bekannten, aber durchaus etablierten Marken aus, mit Nokian. aus Finnland beispielsweise, mit Hankook, Nexen oder Yokohama.

Billig-Angebote meist fernöstlicher Provenienz schneiden oft nur ‚ausreichend’ oder sogar ‚mangelhaft’ ab – meist mit sehr schlechtem Haftvermögen auf Nässe. Das Bremsvermögen auf nasser Straße aber ist ein extrem wichtiges Kriterium im Sommer wie im Winter: Fünf Meter mehr Bremsweg können durchaus darüber entscheiden, ob es in einer Gefahrensituation reicht oder ob ein Schaden entsteht – dessen Reparatur viel teurer ist als der eingesparte Betrag beim Reifenkauf.

Ganz wichtig: Allwetter-Reifen versprechen nur brauchbare Eigenschaften auf Schnee, wenn sie mit „Schneekristall“ ausgezeichnet sind – mit dem kleinen Dreieck mit Bergpanorama. Die Buchstaben „M+S“ sagen gar nichts. Vorsicht ist vor allem bei SUV-Reifen geboten: Hier gibt es M+S-Profile ohne Schneekristall. Das vorgeschriebene „Label“ für Roll-widerstand, Nasshaftung und Geräusch sagt leider auch wenig: Die Hersteller dürfen sich ihre Noten selbst geben. Bei unabhängigen Tests stellt sich oft genug heraus, dass etwa eine „A“-Note beim Nassbremsen von Reifen überboten wird, für die nur „B“ oder „C“ angegeben wird – aber ehrlich.

Runflat-Ganzjahresreifen gibt es noch wenig, verstärkte Versionen für Transporter indes bereits häufig. Halter gewerblich genutzter Fahrzeuge, von Geschäfts-, Liefer- und Leihwagen, wollen naturgemäß von aufwändigem Wechsel von Sommer- und Winterreifen besonders wenig wissen, sie verwenden sie oft schon seit Jahren.

Ganzjahresreifen müssen wie alle Reifen der vorgeschriebenen Dimension entsprechen (z. B. „195/65 R 15“), dazu dem Tragfähigkeits- und dem Geschwindigkeitsindex (z. B. „91“ bzw. „H“). Manche Hersteller rüsten schnelle Limousinen oder Sportwagen dazu mit Reifen eigener Spezifikation aus. Bei BMW beispielsweise sind sie mit einem Stern gekennzeichnet, Mercedes verwendet „MO“ (für „Mercedes Original“). Die Reifen sollen optimal zur jeweiligen Fahrwerksabstimmung passen Da-hinter steckt aber auch die Absicht, Käufer von Reifen in die (oft besonders teuren) eigenen Autohäuser zu locken. Rechtlich bindend sind diese Zusatzbezeichnungen nicht. Je älter die Wagen, desto eher bedienen sich die Fahrer im normalen Reifenhandel (oder zunehmend im Internet). Wenn solche Hersteller-Markierungen vorhanden sind, so müssen diese Reifen aber zumindest achsweise montiert sein.

Besonders kritisch kann die richtige Reifenwahl für Fahrzeuge mit Allradantrieb sein, wenn sie vorn und hinten unterschiedlich bereift sind. Bei achsweiser Mischbereifung sollten nur Reifen montiert werden, die vom Fahrzeughersteller freigegeben sind. Andere können u. U. im Ab-rollumfang geringfügig abweichen und permanente Fehlermeldungen im Reifendruck-Kontroll- und im ESP-System auslösen.

Manchem mag all dieses zu kompliziert sein. Er stellt seine nicht mehr verwendungsfähigen Sommerräder einfach zurück und fährt die M+S-Reifen weiter. Und verschiebt die Neuanschaffung auf den kommenden Herbst. Rechtlich bestehen gegen Winterreifen im Sommer keine Bedenken, vorausgesetzt, die Profiltiefe erreicht das vorgeschriebene Minimum von 1,6 mm. Besser sollten es drei Millimeter sein. Auch mit gutem Profil sollte man im Hinterkopf haben, dass Winterreifen bei Wärme, wie eingangs erwähnt, auf Nässe unter Umständen längere Bremswege zur Folge haben. Und nach Italien sollte man mit diesen Reifen nur fahren, wenn ihr Geschwindigkeits-Index (z. B. „H“) so hoch oder höher ist wie für das Fahrzeug verlangt. Winterreifen niedrigerer Tempoklasse – wie bei uns mit einem entsprechenden Aufkleber am Armaturenbrett möglich – sind dort nicht zulässig.

ampnet/fer