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Buchtipp "Buntland": Alles so schön bunt hier!

Heute stellt Heiko Wacker Euch ein Buch vor, in dem es NICHT um den Bulli geht. "Buntland" von Oliver Lück hat auch ohne VW Bus eine Rezension auf unserer Seite zweifellos verdient.

 ©Rowohlt Verlag

Hallo Bulli-Gemeinde,

darf man auf dieser Seite ein Buch vorstellen, in dem es nicht mal ansatzweise um den Bulli – irgendeinen Bulli – geht? Ja, man darf, finde ich. Denn zum einen ist Oliver Lück auf diesen Seiten kein ganz unbekannter Autor. Und zum anderen machte er für sein Buch genau das, was man mit einem Bulli machen sollte. Er geht auf die Reise durch ein sehr buntes, ein sehr vielschichtiges Deutschland. Also Scheibe runter, Abfahrt!

Jedem Bundesland ist ein Kapitel gewidmet, Oliver Lück besuchte hierfür 16 Menschen. Keine Promis, keine geleckten Phrasendreschmaschinen, keine flachen Sonnyboys – sondern echte Charaktere. Knackig, mit Kante – oder mit Chili, je nachdem. Dass dabei auch gebrochene Lebenswege zu finden sind, auch vom Elend erzählt wird, das diesem Dasein auf Erden zuweilen innewohnt, das liegt auf der Hand. Und doch mag man das Buch auch bei den traurigen Passagen nicht aus der Hand legen. Nach manchen Geschichten muss man freilich eine Weile innehalten, das nur nebenbei.

Denn „Buntland“ kommt den Menschen näher, ohne sie obszön ins Visier zu nehmen, empathisch und mit glasklarem Blick erzählt der Autor von Grenzgängern und Berbern, von genialen Putzfrauen, die aus Gemüse Reinigungsmittel machen, von Weinbauern mit Pferdegespann, von Vogelfreunden mit Tattoos, vom Samson aus der Sesamstraße oder von Familien, die vor der seit den 1930er-Jahren bestehenden Schulpflicht ins portugiesische Hinterland flüchten.

Ganz besonders zu fesseln vermochte mich dabei gleich die erste Geschichte im Buch, die von Frank und seiner Raußmühle handelt. Diese wurde Anfang des 14. Jahrhunderts erstmals erwähnt, heute ist die dreiflügelige Anlage ein aus der Zeit gefallener Rückzugsort, ein Museum zumal, das die wohl weltgrößte Sammlung von Mausefallen beherbergt. Doch bringt Lück nicht nur die reinen Fakten ins Spiel, sondern die Menschen, in diesem Fall also Frank Dähling. Der hütet nicht nur wahre Bücherschätze (wobei er selbst zugibt, dass manche Zimmer der Mühle ob der dort gestapelten Bücher gar nicht mehr betreten werden können, und er diese Bücher wohl zu Lebzeiten gar nicht mehr sortieren geschweige denn lesen wird), sondern nimmt den Leser mal eben mit in die bewegten 1970er.

Warum ich hier so viel von Frank schreibe? Nun – ich darf mich glücklich schätzen, diesen Menschen persönlich zu kennen, weshalb Oliver Lück gleich mit der ersten Geschichte mein Vertrauen gewann. Die weiteren 15 Storys waren denn der reine Genuss.

Und ganz am Ende kommt dann doch noch ein Bulli vor, wenn auch nur am Rande, in der Erzählung von Hans Minge nämlich, den eine erfolglose Republikflucht in den DDR-Knast brachte. Der spätere Freikauf durch den Westen führte ihn am Grenzübergang Invalidenstraße in den Bulli eines West-Berliner Onkels, und damit in die Freiheit.

Ein bisschen Bulli ist also doch drin in Buntland, das stimmt. Vor allem aber ist ganz viel Farbe im Spiel: Deutschland hat nämlich viele Facetten, Oliver ist ein echter Regenbogen des Tiefsinns gelungen. Das perfekte Buch für die Abende, die nun wieder länger werden.

Oliver Lück: Buntland. 16 Menschen, 16 Geschichten. Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg 2018, 255 Seiten, Taschenbuch, ISBN 978-3-499-63350-8, 10,99 Euro.

Heiko P. Wacker