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Buchtipp: Die Erben des VW Käfer

Der Weg vom Käfer zum Golf war lang - sehr lang. Im neuen Buch "Die Erben des VW Käfer: Der lange Weg zu Golf, Passat & Co." zeichnen Eberhard Kittler und Michael Willmann diese entwicklungstechnisch sehr spannende Zeit nach. Heiko Wacker stellt das Buch hier vor.

 ©Motorbuch Verlag

Hallo VW-Freunde!

Der T4 feiert in diesen Tagen seinen Geburtstag: Mal schauen, wann ich den ersten mit H-Kennzeichen auf der Straße sehe! Ja, Leute, es ist schon 30 Jahre her, dass Volkswagen den Motor quer durchs Bus-Gebälk nach vorne jagte, ein Paradigmenwechsel. Klar, der T3 wurde in Europa noch eine kurze Weile bis in die 1990er-Jahre hinein mit Heckmotor gebaut, im Süden Afrikas noch ein wenig länger – und vom südamerikanischen T2 reden wir jetzt mal gar nicht. Immerhin waren aber die letzten Heckmotoren durchweg wassergekühlt, das Konzept aus Golf und Passat hatte auch die Nutzfahrzeuge erreicht. Der Weg indes, der war lang. Verdammt lang, wie Eberhard Kittler und Michael Willmann in ihrem Buch darlegen.

Schaut man aus der heutigen Warte zurück in die 1960er- und 1970er-Jahre, dann erscheint der Wechsel vom Käfer zum Golf als sehr konsequente Entwicklung. „Habt Ihr alles richtig gemacht, Jungs, fein“, könnte man sagen. Allerdings waren sich die Entscheider selber mehr als unsicher, WAS sie eigentlich machen wollen. Einzig die Notwendigkeit, dem Käfer mit seinem luftigen Boxer im Heck einen Nachfahren zu gestalten, die sahen alle. Die Frage war: wie?

Den Luftboxer nach vorne? Ein Mittelmotor? Frontmotor quer, längs oder geneigt? Und der Ventiltrieb: Mit Kette, Stangen oder Zahnriemen? Bloß nicht, das geht schief – doch am Ende waren die Zähne des Riemens wegen eines Kolbenklemmers im Versuchsmotor kariös geworden, bei Glas beispielsweise verbaute man schon seit Anfang der 1960er einen Zahnriemen, wie er heute Standard ist.

Man sieht: Das Thema ist technisch aufgeheizt wie die Motorenprüfstände jener Jahre, auf denen Ideen von Volkswagen, Audi oder auch NSU gemartert wurden, um anschließend in die Presse zu wandern. Doch einige Aggregate haben überlebt, manche wurden stillschweigend bei Seite gestellt, im Motorenkabinett der „Stiftung AutoMuseum Volkswagen“ in Wolfsburg – Adresse unten, Hingehen lohnt – finden sich zahlreiche Exponate, die erst im Zuge des vorliegenden Buchprojekts genauer untersucht wurden.

Doch auch etliche Zeitzeugen, und vor allem hierfür muss man dem Autoren-Duo dankbar sein, kommen zu Wort, und beleuchten jene spannenden Jahre, in denen es wirklich um „die Erben“ des VW Käfer ging, denn tatsächlich entstand gleich eine ganz neue Modellfamilie: Golf, Scirocco, Passat und Polo, während aus dem letztlich eingesetzten EA 827-Motor eine bis in unsere Zeit fortlaufende Aggregateabfolge entstand. Schon Mitte der 1970er-Jahre erreichte er 110 PS aus 1,6 Litern, später brachte er den Audi 100 ebenso in Schwung wie den LT, selbst dessen Sechszylinder-Wirbelkammerdiesel konnte aus dem Reihenvierer abgeleitet wurde. Irre!

Ja, dieses Kapitel der Automobilgeschichte ist überaus spannend, wobei ein gerüttelt Maß an Liebe zu Drehzahl, Zylinderbohrung & Gemischbildung unabdingbar ist für echten Lesegenuss, das sei nicht verschwiegen. Doch der Blick in die Wolfsburger Schatzkammer entschädigt, alleine das Kapitel zum „geheimen“ Wasserboxer EA 245 ist Spannung pur. Der leistete 88 PS, und war zunächst für das Heck des Typs 411 gedacht, der Stoßstangenmotor wurde jedoch von einem günstigeren 1,7-Liter-Luftikus verdrängt.

Das war im Frühjahr 1968, wohlgemerkt, auf die ersten Serien-WBX im Bulli mussten wir bis in die 1980er-Jahre warten. Eine verpasste Chance für VW? Immerhin wurde parallel an einem Entwicklungsprogramm gearbeitet, nach dem 1974 ein schnittig von Porsche entwickelter Kleinbus hätte in Serie gehen sollen.

Man sieht, der Übergang vom Käfer zum Golf – in all seinen Spielarten – war keineswegs stringent, und so liest sich das knapp 20 Euro günstige Buch mitunter wie ein Krimi. Es menschelt, es werden Ideen geboren und verworfen – und immer wieder geht es um die Beherrschung des Feuers in den Brennräumen, die mal von Luft und mal von Wasser umspült werden. Reine Elementarkräfte sozusagen …

Eberhard Kittler und Michael Willmann: Die Erben des VW Käfer: Der lange Weg zu Golf, Passat & Co. Motorbuch Verlag Stuttgart 2019, 175 Seiten, gebunden, 265 Abbildungen, 210 x 280 mm, ISBN 978-3-613-04246-9, 19,95 Euro.

Heiko P. Wacker