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Rekorde über Rekorde: Die Campingbranche boomt

Camping ist in Deutschland beliebt wie nie. Nie zuvor wurden so viele Reisemobile gekauft wie im vergangenen Jahr. Hier gibt es einen ausführlichen Überblick über die Lage.

 ©Michael Kirchberger

Der Markt schäumt über. Nie zuvor haben die Camper in Deutschland mehr Reisemobile gekauft als 2017. Deutlich mehr als 40.000 Fahrzeuge fanden einen Kunden: Selbst im November – kein Monat, der Reiselust weckt – wurden mit 1602 Wohnmobilen 24,9 Prozent mehr als im Vorjahresmonat neu zugelassen. Und es hätten noch mehr sein können. Einzig die Lieferengpässe waren nennenswerte Handelshemmnisse, die manchen Kunden verschreckt oder die Auslieferung ins neue Jahr verlegt haben. Die Caravans schnitten kaum schlechter ab. Sie legten in zwölf Monaten um 14,4 Prozent auf 22 550 Einheiten zu.

Woher kommt die neue Lust auf einen Campingwagen? Flugreisen sind so günstig wie kaum zuvor und die Verbindungen ebenso schnell wie hochfrequent. Und das Thema Kosten, das haben die meisten Interessenten mittlerweile begriffen, spricht keinesfalls für den Camping-Urlaub. Für den Durchschnittspreis eines Reisemobils von fast 60.000 Euro lassen sich viele Pauschalreisen oder Kreuzfahrten buchen. Ganz abgesehen vom Unterhalt: Der Caravan braucht einen Stellplatz, weil es Anhängern nicht gestattet ist, sie länger als 14 Tage im öffentlichen Verkehrsraum zu parken. Das Reisemobil verbraucht deutlich mehr Treibstoff als ein Personenwagen, eignet sich nur selten als vollwertiges Zweitfahrzeug und verlangt wie jedes Auto Pflege und Wartung. Ganz abgesehen vom Wertverlust, der zwar prozentual nicht so hoch ist wie bei einem Mittelklassewagen, aber den Kaufpreis je nach Klasse in längstens fünf Jahren halbieren kann.

Es sind die Ängste und Hoffnungen der Urlauber, die der Branche die Rekordergebnisse bescherten. In den vielen Gesprächen mit Campinggästen auf deutschen Stellplätzen und denen im benachbarten Ausland klangen sie immer wieder an. „Wir wollen nicht mehr fliegen“, sagt ein Ehepaar aus Hamburg, das die Warteschlangen an den Schaltern und den Sicherheitskontrollen satt hat. „Wo soll man denn noch hin?“, fragt ein Berliner, den wir auf dem Stellplatz des Weltkulturerbes Völklinger Hütte getroffen haben. „Früher bin ich nach Ägypten oder Tunesien geflogen, das geht heute gar nicht mehr.“ In der Tat scheiden beliebte Pauschalreiseziele wie der Nahe Osten oder Nordafrika für viele aus. Auf den meist an beschaulichen Orten gelegenen Wohnmobilhäfen und Campingplätzen herrscht schließlich kaum Gefahr, Opfer eines Anschlags oder in Aufstände verwickelt zu werden.

 ©Michael Kirchberger

Außerdem ist das Geld billig, nur Immobilien sind teuer. Wer jetzt die Auszahlung seiner Lebensversicherung erhält, überlegt zweimal, ob er sie in eine überteuerte Eigentumswohnung steckt oder an der Börse spekuliert. Auf dem Konto dagegen verliert sich der Wert zusehends, niedrige Zinsen gleichen nicht einmal mehr die Inflationsrate aus. Was also spricht dagegen, eine neue Urlaubsart auszuprobieren oder als Wiedereinsteiger auf Reisen zu gehen? Deutschland bietet unzählige attraktive Ziele und ganz Europa vollständig zu erkunden ist ein wohl unmögliches Unterfangen. Die Kurzweil bei kleinen Wochenendausfahrten oder dem längeren Trip in den Süden oder nach Skandinavien ist vielversprechend. Dies sind die am häufigsten genannten Beweggründe der neuen Reisemobilurlauber.

Für die Branche, die nun seit rund zehn Jahren immer wieder Absatzrekorde bricht, ist die Entwicklung Fluch und Segen gleichermaßen. Kurzarbeit ist im Gegensatz zu früher ein Fremdwort für die Hersteller geworden. Die Auftragsbücher sind zwar prall gefüllt, aber die Risiken wachsen auch. Viele Unternehmen weiten ihre Produktion aus, um der Flut von Bestellungen Herr zu werden und die große Nachfrage zu befriedigen.

Allzu lange wollen die Kunde nicht auf ein neues Reisemobil warten. Lieferzeiten bis zu einem Jahr muss der in Kauf nehmen, der sich das Heim auf Rädern ganz nach dem persönlichen Bedarf bestellt. Nur die Vorführ- und Ausstellungswagen bei Händlern sind bisweilen schneller zu haben. „Ein Jahr Lieferzeit?“, fragte ein rüstiger Rentner den Verkäufer. „Weiß ich, ob ich dann noch am Leben bin?“

Wenn die Nachfrage jedoch nachlässt, wird das Jammern unüberhörbar sein. Bereits zweimal hat die Branche solche Einbrüche verkraften müssen. Das hatte eine Konzentration der Marken in drei großen Konzernen zur Folge. Heute sind die Hymer-Gruppe mit Herstellern wie Bürstner, Dethleffs und Niesmann & Bischoff, Knaus mit Tabbert und Weinsberg sowie Hobby mit Fendt übrig geblieben. Die nächste Krise dürfte jedoch aufgrund der aktuell großen Investitionen weit gravierendere Folgen haben.

 ©Michael Kirchberger



Dass sie kommt, kann niemand ausschließen. Denn nicht alle Neukunden sehen ihre Erwartungen erfüllt – was auch an der nicht schnell genug mitwachsenden Infrastruktur liegt. Wer beim dritten Stellplatz vor verschlossener Schranke steht und wegen Überfüllung abgewiesen wird, fragt sich, ob die Entscheidung für den Reisemobilkauf richtig war. An den Urlaubswochenenden des Sommers oder im Herbst an den besonders beliebten Reisemobil-Regionen endet die große Freiheit. Entlang der Mosel etwa, an den Küsten und auch in stadtnah gelegenen Reisemobilhäfen. Wer hier nicht schon am Vormittag in Stellung geht oder telefonisch reserviert hat (sofern dies möglich ist), findet keinen Unterschlupf mehr.

Als hinderlich könnte sich auch die Fahrerlaubnisfrage herausstellen. Jüngere Führerscheinbesitzer müssen zusätzlich die Klasse C1 beantragen und sich hierfür prüfen lassen, wenn sie – wie mit dem alten Führerschein noch möglich – Fahrzeuge mit bis zu 7,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht fahren wollen. Mit dem herkömmlichen Autoführerschein endet die Gewichtsklasse heute bei 3,5 Tonnen, was selbst für ein Mittelklasse-Mobil in teilintegrierter Bauweise eindeutig zu wenig ist. Der Branchenverband CIVD bemüht sich seit geraumer Zeit, bei der Europäischen Kommission eine Neuregelung zu erlangen, die eine Anhebung der Gewichtsgrenze auf 4,25 Tonnen bewirken soll.

Eine weitere Unsicherheit ist in der Abgasproblematik zu erkennen. Ältere Reisemobile könnten dann aus Umweltschutzgründen aus den Innenstädten ausgesperrt werden. Wenn die Hersteller der Basisfahrzeuge künftige Abgasgrenzen erfüllen wollen, ist dies wohl nur noch mit der teuren und schweren Harnstoffeinspritzung möglich.

Wie auch immer, die Branche boomt und genießt den Erfolg. Auf der CMT in Stuttgart wird vom 13. bis 21. Januar ein für diese Auftakt-Ausstellung der Saison sehr ungewöhnliches Neuheiten-Feuerwerk gezündet. Wer den Kauf eines Freizeitfahrzeugs in Betracht zieht, findet hier alle relevanten Marken und kann sich einen guten Blick auf das Angebot des Marktes und über die nur schwer überschaubare Produktpalette verschaffen. Zudem ist die CMT (Camping, Motor und Touristik) – anders als etwa eine IAA – eine Verkaufsmesse. Wenn es die Liebe auf den ersten Blick gibt, lassen sich hier sofort feste Bande schmieden.

ampnet/mk