Zurück

Schwere Entscheidung

Warum hatte der 1979 vorgestellte T3 noch einen luftgekühlten Heckmotor, wo doch der Golf als Nachfolger des Käfers bereits fünf Jahre vorher den Konzeptwechsel besiegelt hatte? Gottfried Kunstmann, damaliger Konzeptentwickler und Jürgen Seeßelberg, seinerzeit Assistent vom Neuentwicklungs-Chef Gustav Maier, geben Antwort.

Keiner will es gewesen sein, niemand will die Verantwortung für das Konzept des T3 übernehmen. Hat es an Mut gefehlt, das bewährte Konzept in One-Box-Design und Heckmotor zu verlassen? War es zu teuer, ein komplett anderes Fahrzeug in Hannover zu bauen? Je nach Sichtweise gibt es unterschiedliche Antworten: Der Vertrieb sieht es anders als die Entwicklung oder die Produktion. Aber ist es jetzt noch wichtig? Gemeinsam  wurde die Entscheidung getroffen und heraus kam ein Fahrzeug, bei dem es sich am Ende der Produktion 1992 schon abzeichnete, dass es sich zum Kultauto entwickeln würde.

Es gab viele Zwänge, die die Entstehung des T3 beeinflussten. Einer der wichtigsten war, dass der damals aktuelle T2 absolut erfolgreich am Markt war. Über 50 Prozent Marktanteil in Deutschland, Spitzenverkaufszahlen in der ganzen Welt, vor allem in den USA - never change a winning team. Aber so einfach machten es sich die Vorentwickler nicht. Sie beleuchteten alle denkbaren Konzepte in einer Nutzwertanalyse.

Nutzwertanalyse - Bewertungsschema zur Entscheidungsfindung

Was sind die wichtigsten Kriterien für den Kauf eines Transporters, Lastfahrzeugs, Kleinbusses oder Freizeitfahrzeugs? Die Antworten darauf bilden die Basis der Nutzwertanalyse und hierzu gilt es mit allen  Abteilungen eine Übereinstimmung zu finden. Sieben Kriterien wurden herausgefiltert und prozentual bewertet.

Als die beiden wichtigsten Argumente für einen Transporter kristallisierten sich die Fahreigenschaften und der Komfort in der Fahrerkabine und im Fahrgastraum mit je 20 Prozent heraus. Danach folgten mit je 15 Prozent die Kosten und die Ladefläche bzw. die Fahrzeugabmessungen. Die Fahrzeugsicherheit einschließlich der Möglichkeiten des Fahrzeugumbaus, die Wartung und Reparatur sowie das Image machten nach Bewertungsschema je zehn Prozent aus. Jeder dieser sieben Punkte unterteilte sich weiter in die einzelnen zu bewertenden Kriterien.

Auswahlverfahren - alle möglichen Fahrzeugkonzepte
 
Bereits vor dem offiziellen Start der Entwicklung des T3 machten sich die Konstrukteure Gedanken über andere Fahrzeugkonzepte. Sie nahmen Wettbewerber unter die Lupe und nahmen Prinzipuntersuchungen mit entsprechend präparierten Prototypen vor.

Alle Konzepte mussten aber auch zu den Bedürfnissen der Transporter-Kunden passen. Sie nutzten ihr Fahrzeug zu 50 Prozent zum Personentransport. Fahrkomfort und Fahreigenschaften spielten somit eine wesentlich wichtigere Rolle als bei den meisten Wettbewerbern.

Hinzu kam die Variantenvielfalt des Transporters: Bus, Kastenwagen, Pritschenwagen, Doppelkabine als die Hauptkarosserievarianten sowie Sonderlösungen wie Feuerwehrwagen, Krankenwagen, Camper und Varianten für Behörden, Bundesbahn, Bundeswehr - alles Fahrzeuge, die im Werk Hannover und dem angegliederten Kunden-Center, der heutigen Business Unit Spezialfahrzeuge entstanden. Aus der Fülle der Möglichkeiten untersuchten die Nutzfahrzeugentwickung zwölf Konzepte.

Fahreigenschaften - Grundwert eines VW Transporters

Gute Fahreigenschaften kennzeichnen den VW Bus. Dies liegt schon im Konzept begründet, Ben Pon skizzierte es in seiner legendären Skizze, die den Grundentwurf für den ersten Transporter bildete. Der Fahrer sitzt vorne, der Motor ist hinten und die Beladung ist in der Mitte. Ob leer oder beladen, die Achslastverteilung ändert sich nicht. Gut sowohl für den Fahrkomfort als auch für die Traktion, beziehungsweise Bergsteigfähigkeit.

Eine Anmerkung noch zum Kopfstand-Effekt: Bei einer der vielen Voruntersuchungen mit Wettbewerbern hoben bei der Vollbremsung ohne Beladung die Hinterräder des Fahrzeugs mit Motor und Antrieb vorne ab, der Kastenwagen rutschte auf der vorderen Stoßstange durch die Messtrecke.

Die Konzeptentwickler berechneten die Grenzen der unterschiedlichen Konzepte, die Versuchsfahrer ermittelten die messbaren und erfahrbaren Unterschiede.

  

  

Komfort für Fahrerkabine und Fahrgastraum - Grundsatzuntersuchungen zur Ergonomie

Wie lässt sich erreichen, dass sowohl eine kleine Frau als auch ein großer Mann sich hinter dem Steuer wohl fühlen? Entscheidend dafür ist die Sitzposition und die Erreichbarkeit aller wichtigen Bedienelemente. Die Nutzfahrzeug-Konzeptentwicklung machte dazu eine Grundsatzuntersuchung.

Als unteren Maßstab nahm sie dafür die so genannte Fünf-Prozent-Frau (nur fünf Prozent der Frauen sind kleiner als 1,50 Meter) als oberen den 95-Prozent-Mann (nur fünf Prozent  der Männer sind größer als 1,90 Meter). Aus diesem Fahrerkollektiv ermittelten die Entwickler Ergonomiemaße, mit denen sie wiederum alle zwölf Konzepte untersuchten. Hier hatte eindeutig der Frontlenker die besten Voraussetzungen, hier störte konstruktiv kein Radkasten und die Übersicht war optimal: Am Ende der Windschutzscheibe endete auch das Auto.

Im Vergleich zum Vorgänger T2 ergaben sich aber auch deutlich Verbesserungen. Das Lenkrad war stärker geneigt (Pkw-ähnlicher) und die größere und flachere Scheibe ergab eine gute Ampelsicht und eine größere Fahrbahnsicht.

Fahrzeugabmessungen – Das Verhältnis Verkehrsfläche zur Nutzfläche entscheidet.

Die T3-Fans empfinden die Raumausnutzung als wichtigstes Argument für ihren Bus. Vor allem die Privat- und Freizeitkunden schätzen die große nutzbare Innenraumlänge. Der Motor im Heck stört sie nur wenig, er wird eher als praktisch empfunden, denn der Kofferraum ist in Stehhöhe.

Es geht großzügig zu im Innenraum, solange die Nutzfläche betrachtet wird. Beim Volumen sieht es schon nicht mehr ganz so gut aus. Hier fordert der Heckmotor seinen Tribut. Von hinten eine Palette mit Gabelstapler einzuladen ist nicht möglich. Das optimierte bewährte Konzept brachte trotzdem die meisten Punkte.

Gesamtwertung - klarer Sieg für das Heckmotorkonzept

Nach der Beurteilung aller Kriterien sprach alles für das bewährte Heckmotorkonzept. Damit gab die Nutzwertanalyse den Ausschlag für die Entwicklung des neuen Transporters. Aber ein Blick auf die Gesamtwertung zeigt auch, dass der prozentuale Abstand zum heutigen Transporter-Konzept gar nicht groß ist. Mit den veränderten Ansprüchen und Kundenwünschen an die Fahrzeuge verändern sich auch die Bewertungen der Kriterien einer Nutzwertanalyse. Sie hängt von der richtigen Einschätzung des Markes und den Umweltbedingungen ab. Der Erfolg des T3 attestiert der Analyse, das die Bewertung gepasst hat. Im Rückblick betrachtet entstand auf diese Art und Weise ein Fahrzeug, bei dem schon am Ende der Produktion klar war, dass er Kultstatus erreichen würde. Wie sonst war der Ansturm auf die Sonderserie „Limited Last Edition“ zu erklären, die1992 - fast zwei Jahre nach dem Start des T4 - aufgelegt wurde.

Gottfried Kunstmann/Jürgen Seeßelberg